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Maren Urners bisheriger Weg

Kapitel 1 oder „Neugier bejubeln“

Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Autorin

© Hartmut Nägele

Mit 14 wäre Maren fast an der Ungerechtigkeit in der Welt verzweifelt. Stattdessen beschloss sie, etwas dagegen zu tun, und begann im lokalen Weltladen zu arbeiten und sich so für den Fairen Handel einzusetzen. Mit 15 absolvierte sie das Schulpraktikum bei der Lokalzeitung und sah im Journalismus den besten Weg, um möglichst viele Menschen zu erreichen (das war vor YouTube, Twitter und Facebook). Gleichzeitig begriff sie, dass jede Veränderung zu einer besseren Welt bei den Menschen und Individuen beginnt. Sie studierte also nicht „was mit Medien“, sondern entdeckte auf der Suche nach etwas zwischen Psychologie und Medizin bei einer nächtlichen Recherche den Studiengang Kognitionswissenschaften.

Dort lernte sie die Gemeinsamkeiten – und Unterschiede – natürlicher und künstlicher Intelligenz kennen, musste ein wenig programmieren und entdeckte ihre Faszination für das menschliche Gehirn, seine Funktionsweise(n) und den heiligen Gral der Neurowissenschaften: das Leib-Seele-Problem, also die Frage, wie sich mentale Zustände wie Gedanken und Emotionen physisch im Körper und vor allem Gehirn realisieren.

Bereits im Bachelorstudium führte sie gemeinsam mit Kolleg:innen aus Kanada ihre erste groß angelegte Studie durch, für die sie unter anderem den Gehalt des Stresshormons Cortisol in Speichelproben von Sportler:innen und Nicht-Sportler:innen verglich. Ihre Neugier trieb sie zum Forschungsmaster in die Niederlande und schließlich an das renommierte University College London in Großbritannien für ein vierjähriges Forschungs-Doktorandenstudium.

Parallel war sie immer auch schreibend unterwegs, träumte davon, ein Buch zu veröffentlichen, und absolvierte Zusatzkurse an der London Business School, vor allem mit einem Fokus auf Nachhaltigkeitsthemen, Globaler Wirtschaft und Energiemärkten. Die Welten aus „nerdigen“ Wissenschaftler:innen im Lab rund um den bekannten Queen Square in London und den schwarz-weiß-gekleideten Business-School-Studierenden in der Nähe vom Regent’s Park hätten unterschiedlicher nicht sein können. Das brachte sie zu Fazit Nummer 1:

„Unser Leben ist nichts anderes als das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten.“ 

William James, Begründer der Psychologie (1890)

Kapitel 2 oder „Naivität zulassen“

Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Autorin

© Ufuk Arslan

Im bunten und vielfältigen London mit all seinen Menschen und Organisationen, die jeden Tag einen Perspektivwechsel ermöglichen, begegnete Maren nach der ersten Krise der Ungerechtigkeit im Jugendalter dem zweiten Paradox: Wie kann es sein, dass die großen Herausforderungen unserer Zeit, allen voran die menschengemachte Klimakatastrophe, so wenig in den täglichen Medien diskutiert wurde. Schlimmer noch: Selten wurde dabei die Frage „Was jetzt?“ diskutiert. Stattdessen fanden sich auf den Titelseiten und in den Nachrichtensendungen vor allem eine Aneinanderreihung von negativen Einzelereignissen.

Ausgestattet mit den grundlegenden Erkenntnissen aus Psychologie und Neurowissenschaften zum menschlichen Denken und Handeln, wurde ihr schnell klar: So geht das nicht! Wollen wir als Individuen und Gemeinschaft handlungsfähig sein, brauchen wir eine andere Berichterstattung.

Also kehrte sie der Wissenschaft (erst mal) und London den Rücken zu und gründete gemeinsam mit Han Langeslag und einem stetig wachsenden Team zurück in Deutschland Perspective Daily, das erste werbefreie deutschsprachige Online-Magazin für Konstruktiven Journalismus.

Im Rahmen einer groß angelegten Crowdfunding-Kampagne sammelte das Team 2016 über eine halbe Million Euro von mehr als 12.000 Menschen ein. So wurde Maren zur Unternehmerin, Chefredakteurin und Pionierin für die internationale Bewegung des Konstruktiven Journalismus. Dabei bemerkte sie vor allem eins: Egal, ob es darum ging, Businesspläne zu schreiben, Multiplikatoren von einer vermeintlich verrückten Idee zu überzeugen oder den Redaktionsalltag mit einem interdisziplinären Team zu organisieren: Sündenbocksuche, Zynismus und Problemfokussierung sind Bremsklötze. Immer wieder hüpfte sie im Alltag auf die Metaebene der Neurowissenschaften und Psychologie und erkannte die „praktischen Beispiele“ der Studien und Forschung, die sie zuvor zehn Jahre lang selbst mit durchgeführt hatte. Dabei stolperte sie über ein Zitat, das seitdem ihr Leben gut zusammenfasst und das sie nicht müde wird, zu zitieren – auch um sich immer wieder selbst zu motivieren. Vorhang auf für Fazit Nummer 2:

„Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen.“

Steve de Shazer, Psychotherapeut und Autor (1985)

Kapitel 3 oder „Nachsicht üben“

Maren Urners Laufschuhe

© Hartmut Nägele

Gerade als Maren dachte, ihre Aufgabe gefunden zu haben, den Journalismus konstruktiver und lösungsorientierter werden zu lassen, klopfte die dritte Sinnkrise an die Tür: Wie konnte es sein, dass wissenschaftlich und technisch all das nötige Wissen vorhanden war, um eine gerechtere und vor allem nachhaltig funktionierende Weltwirtschaft und -politik zu gestalten, wir Menschen es aber so häufig nicht hinbekamen?

Der Erfolg ihres ersten Buches „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“, in dem Maren sich dezidiert mit der Aufmerksamkeitsökonomie, einer besseren Medienhygiene und dem dafür notwendigen Kritischen Denken auseinandersetzt, öffnete ihr erneut die Augen bzw. das Gehirn. Die fehlende Lösungsorientierung war nicht nur im Journalismus und den Medien ein Problem, sondern in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen, von Politik über Wirtschaft hin zum Frühstückstisch. Egal, ob sie in Unternehmen, in Bildungs- oder Sporteinrichtungen, in politischen Gremien oder in den Medien mit Menschen sprach, begegnete ihr eine Herausforderung, die sie als Neurowissenschaftlerin selbst erforscht hatte: unsere Gewohnheiten. Sie bestimmen nicht nur, ob wir Rad oder Auto, Tofu oder Schnitzel wählen, sondern auch, wie wir über Freiheit, Sicherheit und Zukunft nachdenken.

So fand Maren ihren Weg zurück in die Forschung und Lehre, seit Oktober 2019 ist sie Professorin für Medienpsychologie an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft. Dort lehrt sie in den beiden Fachbereichen Psychologie und Journalismus & Unternehmenskommunikation. Parallel schrieb sie ihr zweites Buch „Raus aus der ewigen Dauerkrise“. Darin stellt sie dem gewohnheitsgetriebenen statischen Denken ihr Konzept des dynamischen Denkens gegenüber, das neben Neugier und Nativität auch eine Portion Nachsicht benötigt – mit „den anderen“ und auch mit sich selbst. Genau diese Botschaft trägt sie als Rednerin, Workshopleiterin und Diskussionspartnerin in die Gesellschaft, mit einem Fokus auf die alles überragende Herausforderung der Klimakatastrophe. Denn sie ist überzeugt: Wir müssen (fast) alles ändern, wenn wir Menschen eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten haben wollen. Und sie weiß:

„Alles beginnt in unserem Kopf!“

Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Autorin (frei formuliert)